Porträt Astrid Bardenheuer
© Foto Michael Oreal

Astrid Bardenheuer studierte Kunstgeschichte in Aachen und Freie Kunst (Malerei/Film) in Köln. Seit 1998 arbeitet sie als Verwaltungsangestellte bei der Stadt Köln. Die artothek – Raum für junge Kunst der Stadt Köln leitet sie seit 2014. Dort kuratiert sie ein Ausstellungsprogramm mit jährlich sieben Ausstellungen zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler. Ebenso verantwortet sie die Kunstausleihe der artothek als Möglichkeit einer individuellen und persönlich ausgestalteten Annäherung an Kunst im privaten Umfeld.

1. Was macht eigentlich eine Artothek?

Eine Artothek ist ein Kunstverleih, der wie eine Bibliothek für Bücher funktioniert. Das heißt Artotheken – oder auch Graphotheken genannt – verleihen Kunstwerke für eine gewisse Zeit an ein breites Publikum, damit diese Menschen dann mit Kunst in ihrem privaten Umfeld leben können. Das ermöglicht einen intensiven und individuellen Zugang zu (zeitgenössischer) Kunst, weil man viel Zeit mit diesen Werken verbringen und genau hingucken kann. Im Museum besucht man Kunst, in der Artothek lädt man Kunst als Gast oder Mitbewohner zu sich ein.

2. Wie kann die Artothek die Teilhabe an Kunst und kultureller Bildung unterstützen?

Artotheken unterstützen ihr Publikum dabei, eigene Kriterien für Kunst zu finden. Denn bei jeder Ausleihe muss eine Entscheidung getroffen werden, welche Kunstwerke so sind, dass ich sie ganz nah an mich heran lasse, sie in mein Leben integriere und meine Auswahl auch gegenüber Freundeskreis, Familie oder Kolleg*innen vertrete. Diese Überlegungen trifft jede*r Nutzer*in für sich ganz persönlich, egal wie alt man ist, welche Sprache man spricht, aus welchem Kulturkreis man kommt oder wieviel Vorkenntnisse man mitbringt.

Das verhilft allen Beteiligten zu derselben Ausgangssituation und die angewandten Auswahlkriterien sind gleichberechtigt. Daraus entwickelt sich ein selbstwirksamer Umgang mit Kunst und Kultur.

3. Welche Voraussetzungen müssen für die Realisierung von Projekten für und mit Kindern und Jugendlichen erfüllt sein?

Aus rechtlichen Gründen müssen Kinder und Jugendliche bei Projekten mit Artotheken von Erwachsenen begleitet werden. Die Projekte sind eher prozessorientiert und entwickeln sich umso interessanter, je mehr Freiraum für eigene Entscheidungen und kreative Ideen den Kindern und Jugendlichen gegeben wird. Kinder und Jugendliche haben eine ganz ursprüngliche Kompetenz im Lesen von Kunstwerken und diese zu stärken oder wieder zu wecken erfordert möglichst wenig Einmischung von Erwachsenen. Nur minimalen Input zu geben und die Sichtweisen von Kindern und Jugendlichen ernst zu nehmen, ist oft viel schwieriger als ein ausformuliertes Vermittlungsprogramm abzuspulen. Die Beteiligung der Kinder und Jugendlichen bei der Auswahl der Kunstwerke, die im Projekt bearbeitet werden, bewirkt eine starke Identifizierung mit dem gesamten Projekt. Man hat die Teilnehmenden so zu sagen von Anfang an mit im Boot.

Das vielfältige Kunstangebot von Artotheken bietet eigentlich jedem etwas, für das man sich begeistern kann. Mit dieser persönlichen Auswahl lassen sich dann auch in Gruppen gemeinsam neue Fragestellungen und Werkkomplexe erarbeiten.

4. Wie ist die Idee zum Projekt „Mit meinen Freunden habe ich nirgendwo Angst“ entstanden?

Das Projekt „Mit meinen Freunden habe ich nirgendwo Angst“ war Teil des Projektes „Artothek trifft Finkenberg“, einem Format der Kulturellen Bildung in einem Stadtviertel, das wenig Kontakt zu Kulturinstitutionen in der Innenstadt Kölns hat. Dabei war den Projektbeteiligten wichtig, vor Ort ein offenes Angebot für alle Altersgruppen zu schaffen, in dem ein einfacher Zugang zu Bildender Kunst ermöglicht wird und das einen unmittelbaren Bezug zum Lebensumfeld herstellt. Dieses Angebot wurde über drei Monate realisiert. Innerhalb dieser Zeit hat der beteiligte Fotokünstler Matthias Peters mit einer Gruppe Jugendlicher zum Thema „Mit meinen Freunden habe ich nirgendwo Angst“ gearbeitet, in dem sich die Teilnehmenden mit dem öffentlichen Räumen ihres Viertels beschäftigt haben, die ihnen unheimlich sind. Dabei spielte die Bearbeitung der unangenehmen Gefühle durch künstlerische Interventionen eine zentrale Rolle.

5. Haben/hatten Sie ein Lieblingsprojekt?

Das Projekt „Artothek trifft Finkenberg“ ist schon ein herausragendes Projekt in der Agenda der artothek Köln gewesen. Im Projektteam mit Fachleuten aus verschiedenen Sparten wurden unglaublich tolle Kompetenzen gebündelt, so dass gemeinsam ein wirklich herausragendes Angebot der Kulturellen Bildung realisiert wurde. Das war ein großer Kraftakt aller Beteiligten, der uns aber gezeigt hat, dass über kreatives Arbeiten ein besonderer Zugang und offener Austausch zu den Bewohner*innen erreicht werden kann, die sich nicht von den regulären Angeboten der Musen angesprochen fühlen. Es war also ein ganz starkes Plädoyer für die Stärkung einer Kulturarbeit vor Ort.

Ganz persönlich freue ich mich über jedes Vermittlungsformat in der artothek, bei dem ich erleben kann, wie sich bei den Teilnehmenden ein AHA-Erlebnis einstellt, weil sie feststellen, dass sie nur aus eigener Anschauung einen Zugang zu zeitgenössischer Kunst finden. Darüber tauschen sie sich meistens in der Gruppe aus und gehen mit einem ganz anderen Selbstbewusstsein aus der artothek. Das passiert bei Kindergartenkindern genauso wie bei Jugendlichen oder Erwachsenen. Und wenn wir dann diese Entwicklung über viele Jahre bei einer Kindertagesstätte oder einer Schule begleiten dürfen, ist das für mich eine unglaublich tolle Erfahrung.


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