Christian Exner ist wissenschaftlich pädagogischer Mitarbeiter und stellvertretender Leiter im Deutschen Kinder- und Jugendfilmzentrum (KJF). Zudem ist er als Festival-Kurator tätig, verfasst Autorenbeiträge in Filmperiodika, Lexika und Fachbüchern, betreut als Redakteur die Kinderwebsite www.kinderfilmwelt.de und nimmt Lehrtätigkeiten an Hochschulen wahr.
1. Das KJF betreibt die Website KinderFilmWelt.de. Was hat den Ausschlag für dieses Projekt gegeben?
Filmkritik hilft, sich bei der breiten Filmauswahl nicht nur das rauszupicken, was uns die Werbung aufdrängt. An einem „Super Mario“ kommt kaum ein Kind vorbei. Doch selbst bei einem so spektakulären Animationsfilm wie „Nimona“ wird es schon schwierig. Wer hat diese wilde Fantasy-Geschichte, die auf wunderbar beiläufige Art Genderkonventionen durcheinanderwirbelt, schon auf dem Schirm?
Kritik hilft, sich zu orientieren und Filme nach seinen ganz eigenen Vorlieben auszuwählen. Sie schärft unsere Bewertungsmaßstäbe und regt zur Auseinandersetzung an. Manchmal ist eine gut geschriebene Filmkritik auch einfach nur der schöne Nachgeschmack eines feinen Films. So geht es uns Erwachsenen – so geht es auch Kindern. Doch für Kinder gab es lange Zeit nur sporadisch Kritiken in Kindermagazinen.
Die KinderFilmWelt.de hingegen stellt alle Kinderfilme auf den Prüfstand. Als Website, die sich so umfassend mit Kritiken und Wissenswertem rund um Film direkt an Kinder richtet, ist sie einzigartig.
2. Was macht für dich das Besondere deiner Arbeit aus?
Ich spüre bei Kindern und Eltern eine große Begeisterung für gute Filme. Filme können so viel sein: Stimmungsaufheller und Gesprächsanlass, sie können uns in Staunen versetzen, große Spannung erzeugen, fesselnde Erzählwelten aufmachen und fantastische Bildästhetik darbieten. Filme sind ein Experimental-Labor des menschlichen Verhaltens, sie spiegeln Lebenszustände und stimulieren Gefühle. Sie geben Einblicke in Kulturen und sind Werkzeuge für junge Weltentdecker*innen. Filme können trösten, beruhigen und bestärken. Wenn wir mit unserem Redaktionsteam im KJF dazu beitragen, dass Kinder den Weg zu bereichernden Filmen finden, dann sind wir glücklich.
3. Woran arbeitest du aktuell?
Oh – an zu Vielem gleichzeitig. Die Strukturen der Medienpädagogik und der kulturellen Bildung stehen spürbar unter Stress. Mit schmalen Budgets klar zu kommen und die Administration ständig darauf auszurichten, das kostet Kraft und erfordert erhöhte Aufmerksamkeit. Da sind die täglichen Redaktionsroutinen beinahe schon ein angenehmer Ausgleich. Momentan kuratieren wir verschiedene Dossiers zu den Themen „Gender und Lieben“ und „Migration im Kinder- und Jugendfilm“. Wer in der Filmbildung gute Tipps und Hintergrundinformationen sucht, wird sie demnächst bei uns finden.
4. Welche Bedeutung hat die Filmförderung für die Kinder- und Jugendfilmszene?
Durch Filmwettbewerbe können wir bei Kindern und Jugendlichen sehr viel erreichen. Festivals sind Orte informellen Lernens. Wir stehen in Kontakt mit den „Talents“ und wissen nur zu gut, wie motivierend und fördernd Begegnung und Austausch sind. Peer to peer-learning und Partizipation für die wir Räume und Anlässe schaffen. Mein Pädagogenherz schlägt höher, wenn ich sehe wie erfolgreich Filmemacher*innen geworden sind, die wir von Beginn an begleiten durften.
Filmförderung ist auch essentiell in der professionellen Produktion. Fast kein Film kann in Deutschland ohne Förderung entstehen. Zwar konnte der Kinderfilm dank dieses Systems einige Erfolge erzielen, doch die Sparte junges Publikum wird tendenziell vernachlässigt. Dabei sind Kinderfilme überaus gefragt. Sie tragen die krisengebeutelten Kinos rein wirtschaftlich gerade ziemlich gut. Wen wunderts, schließlich bilden Kinder und Familien einen großen Anteil der Bevölkerung. In diesem Jahr steht noch eine Novelle des Filmförderungsgesetzes an. Leider ist zu befürchten, dass dieses neue Gesetz keine Fortschritte für den Kinderfilm bringt. Eher im Gegenteil. Wir müssen über Diskriminierung reden!
5. Welches Erlebnis kultureller Bildung hat dich in deiner Kindheit/Jugend besonders (oder: nachhaltig) geprägt?
Angebote kultureller Bildung waren bei mir rar. Da war ein Schulbesuch im Theater ein zwar singuläres aber um so bedeutenderes Ereignis. Auf dem Programm stand „Der Räuber Hotzenplotz“ von Otfried Preußler. Von meinem Platz auf den hintersten Rängen bekam ich fast Höhenangst beim schrägen Blick auf Schauspieler*innen-Köpfe. Der erste Eindruck: verstörend anders als ich es aus dem TV gewohnt war. Doch die Story hat mich gepackt- ich kann sie heute noch nachbeten. In meinen Sinnen prägte sich ein Gesamterlebnis aus der lebhaften Inszenierung, der luxuriösen Architektur des Theaters und einer abendlichen Busfahrt in die große Stadt ein. Wenig später im Kunstunterricht war ein Tableau aus dem Theaterstück meine Inspiration. Wir hatten so ein Schüler*innen-Voting am Ende der Unterrichtsstunde. Mein Bild wurde mit großem Abstand Sieger des Tages. Kultur zu erleben, selber kreativ zu werden und Anerkennung zu bekommen, das floss direkt zusammen. Ich habe es genossen. Kaum etwas in meiner Kindheit hat mich ähnlich bewegt.