
Foto: Lisa-Art
Günther Schmitz … ist Leiter der offenen Jugendeinrichtung “Haus der Jugend Aufderhöhe” in Solingen. Eine Gruppe von Jugendlichen war maßgeblich an der Spielentwicklung zum Thema „Fake-News“, einem Projekt des „Instituts für Partizipation“ aus Berlin, beteiligt. Er hat Sozialpädagogik in Düsseldorf studiert und ist ausgebildeter GEBe Multiplikator (ein Beteiligungsansatz für Jugendliche).
1. Welche Rahmenbedingungen sind aus Deiner Sicht wichtig, um potenzielle Netzwerkpartner*innen zu finden und gemeinsam Angebote kultureller Bildung für Kinder und Jugendliche zu erarbeiten?
Als Erstes würde ich sagen: Du musst Deine eigene Tür offenhalten. Ich arbeite ja in der “Offenen Tür”, und das bedeutet nicht nur, dass Kinder und Jugendliche zu mir kommen können, sondern ich auch zu ihnen.
Natürlich kann ich diese Tür auch nutzen, um außerhalb der Zielgruppe gleichgesinnte Akteure zur Unterstützung bei der Umsetzung von Interessen der jungen Menschen hier zu finden, auch wenn diese Akteure nicht in der offenen Kinder- und Jugendarbeit unterwegs sind. Es geht letztendlich für mich darum, eine kulturelle Kompatibilität erlebbar zu machen. Das ist häufiger zu finden, als sich das der eine oder andere vorstellt: Das gemeinsame Ziel verbindet! So können weitere Kompetenzen ergänzt werden und Ressourcen, nicht nur finanzieller Art, die eigenen Möglichkeiten erweitern. Also eine Komplementarität, die einen Mehrwert bringt und nicht immer, dasselbe in Wiederholung und nur in höherer Anzahl. Aber das bedeutet eben auch, dass Du Deine Tür offenhalten muss – auch im Kopf …
Rein Technisch ist die Zeit ein wesentlicher Fakt, in allen Facetten. Die Kommunikation muss ebenso abgestimmt sein. Vertrauen und Zuverlässigkeit ist ebenfalls wichtig, um eine Zielsetzung und Zielerreichung, zur Zufriedenheit aller Beteiligten zu bekommen.
2. Die Jugendlichen aus Eurer Einrichtung haben ein Spiel entwickelt, das sich mit dem Thema Fake-News auseinandersetzt. Wie ist die Idee entstanden und wie habt Ihr das Spiel umgesetzt?
Also mitentwickelt, alleine haben wir das nicht getan.
Es hat sich nach und nach, mit dem Beginn der Corona-Zeit, bei uns ein hybrides Angebot: das „Haus des Gaming“, in der Einrichtung und online entwickelt. Es hat bis heute stetigen Zuwachs. Das ist ein Video-Gaming-Angebot. Sowie unsere E-Sportgruppe (die „Yellowblades“), mit Streaming, Discord und allem, was dazugehört. Das braucht es auch natürlich Admin-Aufgaben, wie Chat-Überprüfung und Absprachen mit den Teilnehmenden. Daher war das Thema durch diese Arbeit bei uns bereits in Arbeit und Umsetzung, da es Berührungspunkte gab.
Über unsere “Stabsstelle Bürgerbeteiligung” kam die Anfrage vom “Institut für Partizipation” aus Berlin, ob nicht potenzielle Kooperationspartner bekannt seien, die an einer Spielentwicklung zum Thema „Fake-News“ interessiert seien. Das Institut war deutschlandweit auf der Suche nach fünf Jugendeinrichtungen, um das Projekt umzusetzen. Und so kam die Anfrage an uns; die Jugendlichen – bereits im Thema – waren praktisch direkt mit an Bord! Es startete dann hier mit einem Workshop für die Jugendlichen, und es kamen auch Mitarbeiter aus Berlin dazu. Der Workshop befasste sich mit der Aufklärung zu „Fake-News“ und der Verdrehung von Fakten. Die haben nicht schlecht geguckt, was den Jugendlichen bereits alles klar war! In den folgenden Wochen haben sich die Jugendlichen hier vor Ort wie wild überlegt, wie das Spiel umzusetzen ist. Eigene Prototypen gebaut, auch digital. Ich glaube, das hat so sonst keiner getan. Es gab viele Ideen. Dann ging es für drei “unserer” Jugendlichen nach Berlin, wo sie zusammen mit den Jugendlichen der anderen vier Einrichtungen und einer Spielentwickler-Firma das grobe Spiel gestalteten. Es wurde ein Spiel nach dem Prinzip des Spiels “Werwolf”. Ich finde nach wie vor, dass das eine sehr gute Lösung ist, da jeder jede Rolle einnehmen kann! Also Sender oder Empfänger! Wir durften sogar vor der Fertigstellung den Prototypen zu Präsentationzwecken nutzen. Im Anschluss ging es in die Produktion. Jetzt ist das fertige Spiel da und wir führen es auch an Schulen vor.
3. Wie fördert Ihr durch kulturelle Bildung das gesellschaftliche Engagement von Kindern und Jugendlichen?
Ich kenne keinen IT-Fachmann, der sein Wissen und seine Kenntnisse nur über reines Unterrichtslernen erlernt hat. Ein Fachmann hat in der Regel zuvor über sein Eigeninteresse hinaus auch außerhalb von Schule und über andere Möglichkeiten, seinem Interesse nachzugehen, seine Berufung gefunden.
Gleiches gilt für das gesellschaftliche Engagement von Kindern und Jugendlichen, es braucht Möglichkeiten, Anlässe und – solange sie die Themen der jungen Menschen widerspiegeln – auch inszenierte Aktionen, um dieses Engagement zu entdecken, zu stärken, zu fördern. Und da ist die kulturelle Bildung ein wesentlicher Ausgangspunkt. Hier wird alles erprobt. Kommunikation, Wahrnehmung, Gestalten und somit auch das Wichtigste: die erfahrbare Selbstwirksamkeit, das Auseinandersetzen mit der Lebenswelt und dem Erkennen: Ich kann etwas bewirken, ich habe Wirkung, nicht nur im Schlechten, sondern auch im Guten. Eine Wirkung, die Lob und Anerkennung bringen kann. All dies ist Ausgangspunkt, sich auch weiterhin und auch im Erwachsenenalter einzubringen, eigene Idee umzusetzen. Denn nur als reiner stromlinienförmiger Konsument wird kein Mensch dauerhaft wirksam für seine Persönlichkeit und sein Demokratieverständnis – und engagiert sich womöglich nur internal und ohne Weitsicht.
4. Partizipation und Selbstwirksamkeit sind wichtige Themen in der Jugendarbeit. Wie setzt Ihr das im Jugendhaus um?
Unsere Einrichtung ist stark interessen- und beteiligungsorientiert. Und wir arbeiten daher grundlegend und dauerhaft nach der GEBe-Methode von Benedikt Sturzenhecker. Um einfach weiterhin in der Lebenswelt der Jugendlichen mitspielen zu können. Die Methode beinhaltet im Kern einen Kreislauf, der mit einer Beobachtung startet. Die Beobachtung wird auf „Zack“ – Zuschreibung und „Hopplas“ – Handlungsimpulse geprüft. Nach vielen Jahren Erfahrung glauben wir oft, alle Jugendlichen schon mit einem Blick einordnen zu können und wissen stets unreflektiert, was wir als Nächstes anbieten können. Aber selbst wenn die Aktion stimmt, wann kommen die Jugendlichen dazu? Wir nehmen ihnen so die Möglichkeit, uns zu überraschen! Daher geht es nach der geprüften Beobachtung im Kreislauf mit einem vermuteten Thema weiter, das sich in einer Resonanz wiederfindet. Damit ist übrigens keine direkte Aktion gemeint.
Erst dann kommt es zur gemeinsam ausgehandelten und durchgeführten Aktion und anschließender Öffentlichkeitswerdung. Entweder in Gesellschaft im Kleinen der Einrichtung oder, wie mit unserem Spiel, weit darüber hinaus.
Das ist pure Selbstwirksamkeit und Beteiligung für mich und kann bis zur Selbstverwaltung der Jugendlichen in der Einrichtung führen. Wie ich schon sagte, Türen offenhalten und in beide Richtungen nutzen!
5. Was begeistert Dich an Deiner Arbeit am meisten?
Die Themen und Ideen aller, Kinder wie Jugendliche und Mitarbeiter*innen, ganz egal! Welche Aktionen entstehen! Woran ich selbst nie dran gedacht hätte! Verrücktes wie einfaches! Und das in einer Art und Weise, dass die Beteiligten oft regelrecht begeistert an die Sache gehen – und vor allen bleiben, wenn es nur in ihrer Lebenswelt stattfindet. Und dass die Idee durch sie verwirklicht und nicht nur für sie fertig gestaltet präsentiert wird. Das wirkt! Alles andere wäre nur irgendwie angeheftet und ohne Tiefe und Nachhall! Dass das immer wieder gelingt, das begeistert mich immer wieder aufs Neue!