Portrait_HP

Foto: Anke Dörschlen

Horst Pohlmann leitet den Fachbereich Medien und Medienpädagogik an der Akademie der Kulturellen Bildung des Bundes und des Landes NRW in Remscheid. Als Diplom-Sozialpädagoge und Medien-Spiel-Pädagoge (M. A.) arbeitete er zunächst bei der Fachstelle Medienpädagogik/Jugendmedienschutz der Stadt Köln. Von 2007 bis 2015 hatte er die Co-Leitung von „Spielraum – Institut zur Förderung von Medienkompetenz“ am Institut für Medienforschung und Medienpädagogik der TH Köln inne. Von 2012 bis 2023 koordinierte er den Weiterbildungsstudiengangs „Handlungsorientierte Medienpädagogik“ der Donau-Universität Krems und der TH Köln in Kooperation mit der Akademie der Kulturellen Bildung, wo er seit 2012 tätig ist. Horst Pohlmann ist zudem ehrenamtliches Aufsichtsratsmitglied der Fachstelle für Jugendmedienkultur NRW.  

1. Wie bist du zur Medienpädagogik gekommen, und hast Du persönlich einen Schwerpunkt gesetzt?

In meiner Jugendzeit in den 1980er Jahren haben wir in der Schule und in der Jugendverbandsarbeit viele Projekte mit Hörspielen, Video-Filmen und Zeitungen umgesetzt. Das meiste wurde noch analog bearbeitet, aber mit besser werdender Technik waren auch erste Schnittcomputer oder Textverarbeitungsprogramme dabei. Parallel haben wir uns im Freundeskreis schon mit den ersten Computern beschäftigt, die man sich für zuhause leisten konnte. Das war bei mir ein PC mit einem 8086er-Prozessor, mühsam vom Taschengeld zusammengespart (ca. 1.600 DM). Für heutige Technik wäre das wohl eher ein programmierbarer Taschenrechner. Internet gab’s noch nicht, wohl aber erste Experimente mit Mailboxen über Akustik-Koppler (da wurde der Telefonhörer reingesteckt und über Töne Daten übertragen) und später Modems (ohne Post-Zulassung, denn die konnte man sich nicht leisten). Und natürlich habe ich damit und auch bei Freunden Computerspiele gespielt – allen voran Adventure-Games wie „Space Quest“ und später die berühmten Lukasfilm-Games wie „Monkey-Island“ oder „Day of the Tentacle“. Mit dieser Expertise war ich prädestiniert dafür, im Studium der Sozialpädagogik an der Fachhochschule Köln im Forschungsschwerpunkt „Wirkung virtueller Welten“ von Prof. Dr. Jürgen Fritz mitzuwirken. Er war der erste Spielpädagoge, der sich wissenschaftlich auch mit Computer- und Videospielen befasste, da sie zu dieser Zeit schon Bestandteil jugendlicher Lebenswelten waren. So lautete konsequenter Weise der Titel meiner Diplom-Arbeit „Lernen durch Computerspiele?“. Den Medienschwerpunkt und auch die (medien-)pädagogische Auseinandersetzung mit Games habe ich dann im Berufsleben beim Kölner Jugendamt, bei der FH Köln und auch jetzt an der Akademie der Kulturellen Bildung immer beibehalten. Also könnte man sagen, dass der Startpunkt meiner beruflichen Medien-Laufbahn das Eigeninteresse an Medien war.

2. Welche Bedeutung haben Medien und die Medienpädagogik in der kulturellen Bildung heute?

Mit zunehmender Digitalisierung der Gesellschaft sind Medien inzwischen aus allen Lebensbereichen nicht mehr wegzudenken. Mit all ihren Chancen und Risiken. Sie zu beleuchten und für die pädagogische Arbeit nutzbar zu machen und Schnittstellen zu finden, wie sie neben der Medienbildung auch in anderen kulturellen Fachdisziplinen thematisiert und eingesetzt werden können, ist m. E. eine wichtige Aufgabe der Bildungsarbeit, ganz gleich, ob Schule, außerschulische Arbeit oder in der Familie. Heranwachsende, die als erste aktuelle technische Entwicklungen in ihren Lebensalltag integrieren, sind für mich dabei die Kernzielgruppe, denn auch wenn sie die Technik gut bedienen können, sind sie dadurch noch lange nicht medienkompetent. Mir fällt aktuell aber auch auf, dass z. B. Senior*innen von der digitalisierten Gesellschaft vergessen werden, wenn Überweisungen (kostenfrei) nur noch über Internet getätigt werden können, Bargeld so langsam verschwindet oder Anträge bei Behörden nur noch online gestellt werden können. Hier sehe ich eine wichtige Aufgabe für die Medienpädagogik in den nächsten Jahren, vielleicht auch mit Projekten, in denen Kinder und Jugendliche die ältere Generation an die Hand nehmen und ein dialogisches Miteinander im Fokus steht.

3. Digitale Medien sind im Alltag von Kindern und Jugendlich allgegenwärtig und genau das wird im Moment sehr kritisch diskutiert. Welche Chancen und welche Risiken siehst du hier?

Zunächst einmal können wir die Uhr nicht zurückdrehen und Medien nicht wegdiskutieren. Sie gehören zur Lebenswelt aller Altersgruppen. Kritische Aspekte sehe ich vor allem in der Zeit, die wir für Medien aufbringen und die logischerweise anderen Freizeit- und kulturellen Beschäftigungen Zeit stehlen. Hier benötigen Heranwachsende, aber auch viele Erwachsene Impulse und Alternativangebote.
Die Medienpädagogik steht seit jeher vor der Herausforderung auf technische Entwicklungen reagieren zu müssen. Das macht sie nicht wirklich planbar und Projekte verlangen von den Durchführenden eine gute Portion Flexibilität und Kreativität. Es macht hier auch keinen Sinn, sich gleich auf neue Dinge zu stürzen, die vielleicht in ein, zwei Jahren wieder vergessen sind. Ich erinnere mich z. B. an den Hype, den „Second Life“ in der außerschulischen Jugendarbeit ausgelöst hat: Medienpädagog*innen erstellten virtuelle Jugendzentren in der virtuellen Parallelwelt und mussten nach wenigen Monaten feststellen, dass die Plattform für Jugendliche nicht attraktiv war, weil sie keine spielerischen Elemente beinhaltete, und die Angebote verwaisten in kürzester Zeit. Ich würde davon ausgehen, dass dieses Schicksal auch zukünftige und gehypte Ideen wie „Metaverse“ oder andere virtuelle Online-Welten teilen werden.
Andererseits sind die meisten Themen und Baustellen für die pädagogische Arbeit nicht wirklich neu. Mobbing z. B. gab es schon immer und Methoden, ihm zu begegnen, gab es auch schon vor dem Smartphone. Beim Cybermobbing kommt die digitale Welt hinzu und mit ihr verschieben und potenzieren sich die Dimensionen. Die pädagogische Antwort lautet aber, weiterhin soziales Miteinander und Respekt zu fördern. Ähnliches sehe ich bei der Diskussion über KI-generierte Fakes. Wenn wir damals in der Schule noch den Bildzeitungs-Artikel mit dem aus der FAZ verglichen haben, geht es auch heute weiterhin um Quellenanalyse. Die Qualität mag sich ändern und es wird auch zunehmend schwieriger werden, Echtes von Falschem zu unterscheiden, aber die Grundlagen der Bearbeitung sind die gleichen. Interessant wäre hier auch, dass erste KI-Systeme programmiert und aufgebaut werden, die Fakes anderer KIs enttarnen. Spätestens dann wären es programmierte Werkzeuge, die uns wiederum zur Seite stehen können. Die Automatisierung in Produktion, auf der Straße oder im Haushalt wird viele Umwälzungen und Probleme mit sich bringen. Hier alle Menschen mitzunehmen und Aushandlungsprozesse zu starten, die die Frage klären, was wir für eine Zukunft der Gesellschaft wollen und was nicht, ist m. E. lange überfällig. Das geht nicht mehr solitär, und hier ist ein interdisziplinäres Miteinander gefragt, das möglichst alle Perspektiven integriert. Und genau das ist für mich die Aufgabe der kulturellen (Medien-)Bildung.

4. Die Akademie der Kulturellen Bildung hat auch zum Thema Medien viele Fortbildungsangebote. Wo liegt hier das Besondere?

Wir haben an der Akademie das Glück, zehn kulturelle Fachbereiche vereint unter einem Dach zu haben. Das ermöglicht den Blick über den fachbezogenen Tellerrand, Schnittstellen und Synergie-Effekte zu suchen und kulturelle Bildungsarbeit interdisziplinär zu denken. Bei den oben erwähnten Games ist der Bezug zur Spielkultur/Spielpädagogik offensichtlich und die Realumsetzung von Computer- und Videospielen z. B. eine schöne Methode, die Kinder und Jugendliche weg vom Bildschirm führt. Der Bereich „Literatur und Sprache“ setzt Games und Apps zur Sprach- und Leseförderung ein oder erstellt Podcasts und Hörspiele. Im Theater kommen Videotechnik und virtuelle Kulissen zum Einsatz, in der Bildenden Kunst wird mit 3D-Druck oder Bild generierenden KI-Systemen experimentiert, im Tanz sind Bewegungsabläufe virtueller Spielfiguren (z. B. Tänze im Game „Fortnite“) Ausgangspunkt für eigene Choreografien, in der Musik wird auch mit Tablets musiziert (z. B. mit der App „Garageband“) oder es werden mit Hilfe von KI Musikstücke und Songs erstellt. Kurz gesagt: Zu fast allen kulturellen Bildungsthemen können Medien einen Beitrag leisten und sei es nur der Bezug zur medialen Lebenswelt, um „Kinder und Jugendliche dort abzuholen, wo sie stehen“.

5. Was sind die nächsten Highlights in deinem Kalender?

Das nächste Highlight in meinem Kurskalender ist mit „KI in der Bildung“ gleich schon in der kommenden Woche. Hier werden wir neue Vermittlungsmethoden mit und zu Künstlicher Intelligenz entwickeln. Der Kurs knüpft an eine Tagung und zwei Methoden-Labore in den letzten Jahren an (Ergebnisse und Dokumentation hier: https://kulturellebildung.de/ki). Dann folgt Anfang Juni die Tagung zur „Pornografie-Kompetenz“ (https://kulturellebildung.de/pornokompetenz), auf der wir uns der Frage stellen, wie wir damit umgehen können, dass schon Kinder im Grundschulalter mit Hardcore-Pornografie in Kontakt kommen (Schnittstelle Medien-, Sexualpädagogik, Kinder- und Jugendschutz sowie Kulturelle Bildung). Und ich freue mich schon auf den Kurs „Games get real“ im Herbst (https://kulturellebildung.de/kurse/games-get-real-2/), bei dem wir wieder Computer- und Videospiele in „echte“ Spiele umwandeln werden.