1. Warum sind die Kommunen für die Gestaltung der Kulturellen Bildung so wichtig?
Die Kommunen sind in meinen Augen grundlegender Eckpfeiler für das Gelingen und den Aufbau von kulturellen Bildungslandschaften. Denn Kulturelle Bildung ist eine ressortübergreifende Aufgabe. Die einzelnen Angebote aus den Ressorts Bildung, Jugend oder Kultur richten sich immer an dieselben jungen und später erwachsenen Menschen und sollen dabei möglichst alle unabhängig von Herkunft und Bildung erreichen. Daher ist es sinnvoll, dass die Kommune diese Angebote miteinander vernetzt und dafür Sorge trägt, dass Kulturelle Bildung einen Platz bei den Bürger*innen im gesamten Lebensverlauf und zwar in formalen, non-formalen und informellen Kontexten hat.
Ein weiterer Grund liegt in dem sehr individuellen und unterschiedlichen kulturellen Kapital einer Kommune, das die Basis für Kulturelle Bildung bildet.
Daher bin ich auch bekennender Fan des Wettbewerbs „Kommunale Gesamtkonzepte für Kulturelle Bildung in NRW“.
2. Was fehlt der Kulturellen Bildung?
Ein Innehalten, eine bewusste Reflexion des gesellschaftlichen Wandels und Experimentierräume für eine zeitgemäße Weiterentwicklung!
Wir argumentieren und stützen uns immer noch weitgehend auf ein Grundkonzept von Kultureller Bildung, wie es sich in den 1970er Jahren etablierte. Damals war dies der Beginn einer starken Hinwendung zur Modernisierung und Individualisierung innerhalb einer homogenen Gesellschaft. Seitdem hat sich die Gesellschaft rasant weiterentwickelt im Kontext von Heterogenität, Ökonomisierung, technischem Fortschritt, Globalisierung und jüngst Nachhaltigkeit.
Fragen des Wertewandels, neue digitale Technologien oder auch globale Perspektiven berühren Grundsätze, Inhalte und Konzepte der Kulturellen Bildung. Daher wäre es dringend ratsam, gemeinsam über eine zeitgemäße Kulturelle Bildung nachzudenken, die beispielsweise auch globale und global gerechte Perspektiven auf Fragen der Kulturgeschichte und des kulturellen Erbes miteinbezieht.
3. Laut dem NRW-Ganztagsbericht sind über 90% der Ganztagsangebote im kreativen und künstlerischen Bereich angesiedelt. Sehen Sie dennoch Handlungsbedarf, wenn es um die Gestaltung des Ganztags geht?
Ja, unbedingt! Ob ein*e Schüler*in außerhalb des Unterrichts Zugang zur Kulturellen Bildung im Ganztag erhält, hängt aktuell vom Engagement der Schule ab. Denn Projektfinanzierungen für Kulturelle Bildung im Ganztag müssen oft jedes Schuljahr neu geregelt werden. Einzelne Schulen können hier immer nur ein limitiertes Angebot bereitstellen. Dabei werden Gruppengröße und Zeitstruktur oft an formale Strukturen angepasst.
Das jedoch widerspricht dem interessengeleiteten Charakter non-formaler Bildung. Kooperationen zwischen non-formaler und formaler Bildung sollten auf Augenhöhe stattfinden und der Ganztag daher nicht mehr schulspezifisch, sondern kommunal gesteuert werden. In Finnland beispielsweise organisieren die Städte kulturelle Aktionspläne, wie den Besuch von Theater oder Museen, für alle Schulen verbindlich. Auch wird dort jedem/jeder Schüler*in im Ganztag ein Hobby finanziert, das sich diese im Vorfeld selbst aussuchen.
4. Für welche Fragestellung wünschen Sie sich eine Evaluation?
Mit Blick auf die Entwicklung von zeitgemäßen kulturellen Bildungsstrukturen, wünsche ich mir aktuell statt einer Evaluation eher eine nationale oder besser noch eine europäische Bestandsaufnahme zu innovativen Einbindungen digitaler Techniken in die Kulturelle Bildung und zu innovativen Modellen, die Kulturelle Bildung im Ganztag nachhaltig und interessensfördernd verankern. Darüber hinaus wären auch mehr Experimentierraum und Fachdiskurs wichtig, um neue Ideen zu entwickeln.
5. Was bedeutet Ihnen persönlich die Kulturelle Bildung?
Kunst, Kultur und kulturelle Praktiken bestimmen unser Menschsein: Die Bücher, die wir lesen, die Musik, die wir hören, die Lieder, die wir singen, prägen uns! Kulturelle Bildung ist daher im besten Falle eine Grundlage zur Entwicklung eigener Identitäten und zugleich, bei Einbindung diverser und globaler Perspektiven, auch ein Brückenbauer zwischen unterschiedlichen kulturellen Erfahrungen, Identitäten, Praktiken, um kulturelle Aushandlungsprozesse auf Augenhöhe zu ermöglichen.